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Lida Gustava Heymann – Mit Verve für Frauenstimmrecht und Frieden

Lida Gustava Heymann – Mit Verve für Frauenstimmrecht und Frieden

Am 31. Juli 1943 starb Lida Gustava Heymann im Zürcher Exil. Gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Anita Augspurg war sie eine der prominentesten, streitbarsten und leidenschaftlichsten Frauenrechtlerinnen und Pazifistinnen des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Kurzporträt einer Frau, an der sich auch in der Frauenbewegung die Geister schieden.

Lida Gustava Heymann
Lida G. Heymann (Bildquelle s.u.)

Lida Gustava Heymann wurde am 15. März 1868 in Hamburg geboren. Es sollte ein Datum von wahrhaft frauenhistorischer Bedeutung werden. Die Kaufmannstochter hatte – zumindest laut ihren Memoiren – früh ein großes Gerechtigkeitsempfinden und wohl auch ein dezidiert feministisches Bewusstsein. Schon als Kind ergriff sie Partei für Dienstmädchen, verweigerte als Jugendliche nach der ersten Erfahrung der Atmosphäre auf Tanzbällen jede weitere Teilnahme: „Zu einem solchen Blödsinn gebe ich meine Zeit nicht her, da bleibe ich lieber daheim und lese ein gutes Buch“, will sie ihrem Vater nach der ersten Teilnahme empört mitgeteilt haben (Heymann 1972, S. 35f.).

So ist vielleicht nicht verwunderlich, dass diese junge Frau, nachdem sie ein beträchtliches Erbe angetreten hatte, jenes dazu verwendete, Frauenprojekte ins Leben zu rufen: ein günstiger Mittagstisch für Arbeiterinnen (Betriebe hatten keine Kantinen, und Wirtshäuser kamen nicht in Frage), eine Beratungs- und Anlaufstelle für Frauen sowie später eine Handelsschule für Mädchen. Auch in eigener Sache war sie aktiv: So verweigerte sie einmal die Zahlung von Steuern, da man zwar auf staatlicher und städtischer Seite gern ihr Geld nahm, ihr jedoch kein Mitspracherecht zugestand.

Frauenbewegung und Liebe

1896 lernte sie auf einer Frauenkonferenz in Berlin die Feministin Anita Augspurg kennen. Das heißt: Zunächst hörte sie sie reden – und das muss für die 28-jährige Lida Gustava Heymann ein wahrhaft transformatives Ereignis gewesen sein:

„Die ersten Worte, die ich von Anita Augspurg vernahm, lauteten: ‚Wo ist das Recht der Frau?‘ Diese mit Kraft und selten klangvoller Stimme in den mächtigen Saal gerufene Frage traf mich tief, ließ mich aufhorchen und aufschauen. Am Rednerpult stand ein Mensch in an griechische Art erinnerndem Gewande aus braunem Sammet. Schon ergrauendes kurzes Haar umrahmte eine hohe Stirn, unter der zwei klar schauende Augen blitzten. […]
Die Klarheit ihrer frei gehaltenen Rede, die Schärfe ihrer Beweiskraft und hernach in der Diskussion die kompromißlose Verteidigung der von ihr aufgestellten, von anderen angezweifelten Behauptungen – das alles imponierte mir restlos. Hier vereinte sich starkes Selbstbewußtsein mit einer völlig natürlichen, uneitlen Art sich tu geben. Alles in allem ein kraftvoller Mensch. Jahrzehntelange Freundschaft und Lebensgemeinschaft haben mich an der Richtigkeit meines ersten Eindruckes niemals zweifeln lassen.“

Heymann 1972, S. 62.

Anita Augspurg war zu jener Zeit in amourösen Dingen noch anderweitig unterwegs. Allerdings war sie nicht wirklich glücklich, und so kam es, dass aus der Begegnung auf dem Kongress tatsächlich bald mehr wurde. Nach 1900 zogen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann dann zusammen. Zuerst wohnten sie in München, dann kam ein Bauernhof im Isartal dazu. Bis zu ihrem Tod lebten und arbeiteten sie fortan gemeinsam im Sinne der Sache der Frauen. Augspurg studierte Jura und publizierte zu Rechtsfragen, und Heymann widmete sich Fragen von Mädchenbildung und der Bekämpfung der Unterdrückung Prostituierter. Beide zusammen kämpften sie für Frauenstimmrecht und Frieden, später auch gegen den aufkommenden Nationalsozialismus.

Themen: Frauenwahlrecht und Frieden

Von den Stationen ihrer Arbeit hier nur ein paar Highlights: 1902 gründeten sie den ersten Frauenstimmrechtsverein Deutschlands – in Hamburg, weil das preußische Vereinsgesetz Frauen noch keine Mitgliedschaft in politischen Vereinigungen erlaubte. 1914 wandten sie sich in scharfen Worten gegen den Krieg, und 1915 waren sie Mitorganisatorinnen der Frauenfriedenskonferenz in Den Haag und Mitgründerinnen der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. Viele der Schlussforderungen dieser Konferenz fanden sich 1918 im 14-Punkte-Plan des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson wieder – fast drei Jahre und unzählige Tote später. Ob der Plan direkt von den Frauen inspiriert wurde, ist nicht klar. Fest steht jedoch, dass die amerikanische Kongresspräsidentin Jane Addams mit Wilson darüber gesprochen hatte. Genannt wurden die Debatten der Frauen im Plan aber natürlich nicht.

Auch in der Weimarer Republik erkannten Augspurg und Heymann die Zeichen der Zeit früh: 1923 forderten die beiden engagierten Pazifistinnen die Ausweisung Adolf Hitlers aus Bayern. Vergeblich.

Exil in der Schweiz

Als die Nazis im Januar 1933 an die Macht kamen, befanden Heymann und Augspurg sich im Winterurlaub in der Schweiz. Sie entschieden sich, nicht nach Deutschland zurückzukehren – und das war eine gute Entscheidung, denn offenbar standen sie bei den Nazis in der Tat auf der Liste „unerwünschter“ Personen. Ihre Wohnung wurde durchsucht, alle Wertgegenstände mitgenommen. Heymann und Augspurg, die immer äußerst gut situiert gewesen waren, waren fortan auf die Hilfe alter Freundinnen und Weggefährtinnen aus dem Ausland angewiesen. Hier kam ihnen zugute, dass sie immer gute internationale Kontakte gepflegt hatten.

So waren zwei der streitbarsten Feministinnen des Kaiserreichs und der Weimarer Republik ihrer Handlungsmöglichkeiten beraubt. Für Exilant:innen war es in den Gastländern nicht immer einfach, sich weiter politisch zu äußern; hinzu kam, dass Augspurg und Heymann zwar im fortgeschrittenen Alter noch den Führerschein erwarben, aber mittlerweile die Kräfte nachließen: 1933 war Augspurg 76 Jahre alt, Heymann immerhin 65. Sie blieben weiter politisch interessiert, aber als Geduldete, die ihre gesamte materielle Existenz verloren hatten, waren ihnen die Hände gebunden.

In den 1940er Jahren erkrankte Lida Gustava Heymann an Krebs. Sie starb am 31. Juli 1943. Anita Augspurg folgte ihr ein halbes Jahr später. Gemeinsam liegen sie auf dem Friedhof Fluntern in Zürich begraben.

Was bleibt?

Lida Gustava Heymann ist eine beeindruckende Frau, die Immenses geleistet hat. Dabei war sie nicht immer freundlich und auch nicht immer so fair, wie sie sich gern sah. Heymann war überzeugt von der Richtigkeit ihres Tuns. Wo sie mit Anderen unterschiedlicher Meinung war, hieß das für sie meist im Umkehrschluss, dass die eben falsch lagen. Das machte den Umgang mit ihr nicht immer einfach.

Die Pazifistin und Friedensnobelpreisträgerin Emily Greene Balch hatte es einmal so formuliert:

„I try to be as candid as I can in this complicated world, but when Lida Gustava Heymann got up and said she was going to be ‚aufrichtig‘ it was devastating.“

Randall 1964, S 442.

Wo Lida Gustava Heymann „aufrichtig“ war, wuchs so schnell kein Gras mehr. Konstruktive Zusammenarbeit im Konflikt war ihre Sache nicht, und Wertschätzung gab es nur für Auserwählte – solange jene mit ihr übereinstimmten. Sie konnte sich in Rage reden, was immer wieder zu Entgleisungen führte. Gleichzeitig: Hätte sie die Kraft zu ihrem kompromisslosen Aktivismus gehabt, wenn sie nicht so überzeugt von sich gewesen wäre? Wenn sie rücksichtsvoller gewesen wäre, bedachter, sich mehr um die Gefühle anderer geschert hätte – wie etwa auch um die des Polizeibeamten, der sie einmal respektlos angesprochen und das vermutlich bitter bereute? Sind das, was uns an der Person Lida Gustava Heymann befremdet und das, was wir an ihr bewundern, vielleicht zwei Seiten einer Medaille?

Die entfremdete Weggefährtin Minna Cauer mag es ähnlich gesehen haben. Heymann habe „ein Loch, wo andere Menschen Gemüt haben“, schrieb sie 1907 in einem Brief an eine Freundin. Gleichwohl schätzte sie Heymanns Furchtlosigkeit, wie sie 1916 in ihrem Tagebuch notierte:

„Heymann ist immerhin bei all ihren Fehlern eine starke Persönlichkeit u. sie wagt viel, ja alles, ganz unerschrocken. Das tut so wohl.“

Minna Cauer, Tagebuch 17.3.1916.

Vielleicht ist das die treffedste Zusammenfassung, mit der man Lida Gustava Heymann zu ihrem Todestag würdigen kann.

***

Wer mehr über diese „starke Persönlichkeit“ wissen möchte: Zusammen mit der wunderbaren Jasmin Lörchner von HerstoryPod habe ich einmal in guter Spielfilmlänge über Heymann und ihre Lebensgefährtin Anita Augspurg geplaudert:

Zum Weiterlesen und -hören:

Von Olympe bis Helene: Streifzug durch 100 Jahre Frauenbewegung

„Wo ist das Recht der Frau?“ – Die Frauenrechtlerin Anita Augspurg

Minna Cauer – Mit Leidenschaft für Frauen, Frieden und Demokratie

Helene Lange – Pionierin der Mädchenbildung

Quellen und Literatur:

Lida Gustava Heymann: Erlebtes, Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden, 1850-1940, Meisenheim 1972

Mercedes M. Randall: Improper Bostonian: Emily Greene Balch, Nobel Peace Laureate, 1946. New York 1964

Tagebuch Minna Cauer sowie Brief Minna Cauer an E. M v. Witt, 15.1.1907, Nachlass Cauer, IISG Amsterdam.

Bild: Bundesarchiv, Bild 146-1987-143-05 / CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons.