Folge 5: Mary Kingsley – Grenzgängerin zwischen Kulturen und Konventionen

In dieser Folge gehen wir gemeinsam auf Reisen. Mit Mary Kingsley, Tochter einer Köchin und eines Arztes, besteigen wir das Schiff nach Westafrika und folgen einer unkonventionellen Frau auf unkonventionelle Wege.

Kingsley war Grenzgängerin im wahrsten Sinne des Wortes. 1862 durch die gerade noch rechtzeitige Heirat der Eltern haarscharf in das gehobene Bildungsbürgertum hineingeboren, kam sie als Tochter der Haushälterin des Arztes George Kingsley doch nie richtig in der Familie des Vaters an. Man störte sich an ihrem Akzent, den sie von der Mutter hatte, und ganz allgemein an ihrer nicht „standesgemäßen“ Herkunft. So wuchs Mary Kingsley weitgehend isoliert auf. Sie besuchte offenbar nie eine Schule, brachte sich nahezu ihr gesamtes Wissen aus der väterlichen Bibliothek bei, und kümmerte sich jahrelang zunächst um die pflegebedürftige Mutter, dann um den todkranken Vater.

Nach dem Tod der Eltern fuhr sie nach Afrika – wie sie selbst schrieb, „um zu sterben.“ Das mag plausibel klingen: Mary Kingsley hatte nicht nur kurz nacheinander beide Eltern, sondern mit der Pflege der Eltern auch ihre einzige Aufgabe verloren. Nur ein Bruder war noch da, der versorgt werden wollte (und das auch ganz selbstverständlich fand). Liest man Mary Kingsleys Schriften und schaut man sich ihren weiteren Lebensweg an, drängt sich aber nach und nach die ganz gegenteilige Interpretation auf: Mary Kingsley ging nach Afrika, um zu leben. Sie, die viktorianische Haustochter, die nie eine Schule besucht hatte, die kranke Mutter und später auch den Vater gepflegt hatte und dabei nie an sich dachte, wurde in Westafrika zur Ethnologin, Händlerin und Schriftstellerin: Ihr Reisebericht Travels in West Africa wurde trotz (oder vielleicht wegen) seines gewaltigen Umfangs zu einem Bestseller.

Darüber hinaus wurde Mary Kingsley zur Kolonialkritikerin – aber zu einer durch und durch imperialistischen. Wie was zusammengeht? Lasst euch überraschen!

Im Podcast sprechen wir über ihr Leben, ihren Bestseller Travels in West Africa und über die vielen kleinen und großen Grenzgänge einer spannenden, schillernden Frau. Und vielleicht kann auch sein, dass wir sie inmitten von Krokodilen und mit Beulen in einer Elefantenfalle antreffen.

Die Folge findet ihr auch im Podcast-Player eurer Wahl unter „Frauen von damals“ oder hier direkt auf der Hosting-Seite.

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Verwendete Literatur:
Birkett, Dea: Mary Kingsley: Imperial Adventuress, Basingstoke u.a 1992.
Blunt, Alison: Travel, Gender, and Imperialism. Mary Kingsley and West Africa, New York 1994.
Ciolkowski, Laura E.: ‚Travelers‘ Tales: Empire, Victorian Travel, and the Spectacle of English Womanhood in Mary Kingsley’s Travels in West Africa‘, in Victorian Literature and Culture (1998), S. 337-366.
Frank, Katherine: A Voyager Out. The Life of Mary Kingsley, London 2005 [1. Aufl. 1986].
Galtung, Johan: ‚Eine strukturelle Theorie des Imperialismus‘, in: Imperialismus und strukturelle Gewalt, hg. v. Dieter Senghaas, Frankfurt am Main 1976 [1. Aufl. 1972], S. 29-104.
Gwynn, Stephen: The Life of Mary Kingsley, 3. Aufl., Harmondsworth/New York 1940 [1. Aufl. 1932].
Kingsley, Mary H.: Travels in West Africa, eingel. v. Elizabeth Claridge, 5. Aufl., London 1982 [1. Aufl. 1897].
Kingsley, Mary H.: West African Studies, eingel. v. C. Macmillan und J. E. Flint, 3. Aufl., London 1964 [1. Aufl. 1899].
Kingsley, Mary (Hg.): Notes on Sport and Travel by George Henry Kingsley, London und New York 1900.
McEwan, Cheryl: ‚“The Mother of all the Peoples“: Geographical knowledge and the empowering of Mary Slessor‘, in: Geography and Imperialism 1820-1940, hg. v. Morag Bell, Manchester 1995, S. 125-150
McEwan, Cheryl: ‚Paradise or Pandemonium? West African Landscapes in the Travel Accounts of Victorian Women‘, in Journal of Historical Geography, Bd. 22, 1 (1996) S. 68-83.
Mills, Sara: Discourses of Difference. An Analysis of Women’s Travel Writing and Colonialism, London und New York 1993.
Pratt, Mary Louise: Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation, London und New York 1992.
Walgenbach, Katharina: „Die weiße Frau als Trägerin deutscher Kultur“ – Koloniale Diskurse über Geschlecht, „Rasse“ und Klasse im Kaiserreich, Frankfurt/New York 2005.
Walther, Bianca: „I, as a Scientific Man“ – Grenzen viktorianischer Weiblichkeit bei der Afrikareisenden Mary Kingsley, in: Uta Fenske, Daniel Groth und Matthias Weipert (Hg.): Grenzgang, Grenzgängerinnen, Grenzgänger. Historische Perspektiven. Festschrift für Bärbel P. Kuhn zum 60. Geburtstag, St. Ingbert 2017, S. 103-114. (Rezension hier).

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